Persönliche Treffen, Business Events und damit quasi die gesamte Geschäfts-reisebranche kamen zu Beginn der Corona-Pandemie zum Erliegen. Virtuelle Meetings ersetzten die Geschäftsreise problemlos, viele Firmen betrieben eine Neuausrichtung und setzten andere Prioritäten beim Thema Business Travel. Gleichzeitig hat sich die Geschäftsreisebranche stark mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt und viele Unternehmen haben für eine sinnvollere Form der Geschäftsreise ihre Policies angepasst.

Entsprechend düster fielen während den ersten zwei Jahren der Pandemie die Prognosen für den künftigen Geschäftsreiseverkehr aus. Viele ExpertInnen gingen davon aus, dass er nie mehr das Level wie vor der Pandemie erreichen werde – ein permanenter Einbruch von mindestens 30 Prozent wurde prognostiziert.

Fast wie vor der Pandemie

Mittlerweile ist diese Annahme alles andere als in Stein gemeisselt. Denn trotz Corona, höheren Ticketpreisen aufgrund des Krieges, Flugscham und den Nachhaltigkeits- versprechen vieler Firmen liegt die Anzahl der Buchungen für Geschäftsflüge wieder beinahe auf dem Niveau von vor der Pandemie. In der Schweiz nehmen die Zahlen der über den Corporate-Payment-Spezialisten AirPlus International abgewickelten Transaktionen für Flugtickets seit Jahresbeginn kontinuierlich zu. Nach einer kurzen Stagnation im April wurden im Mai 2022 knapp drei Mal so viele Flüge über AirPlus verbucht als im Januar. Wie war das nun genau mit einem neuen, nachhaltigeren Zeitalter für Geschäftsreisen?

(c) Flughafen Zürich

Ein weiter Weg

Der Verein Fairunterwegs, eine 1977 gegründete Schweizer Non-Profit-Organisation, die sich für sozial- und umweltverträgliches Reisen einsetzt, sieht für diese Entwicklung drei Gründe: «Zwischen der Ankündigung ‹ich will nachhaltiger reisen› und dem effektiv nachhaltigen Reisen liegt ein weiter Weg», sagt Geschäftsführer Jon Andrea Florin der EventEmotion. Bedauernswerterweise sei das sozial- und umweltverträgliche Reisen vergleichbar mit einem Neujahresvorsatz, welcher trotz bester Absichten nie umgesetzt wird. Zweiter Grund: Wenn ein Unternehmen eine faire Geschäftsreisen-Politik seriös einführen und etablieren wolle, brauche es dafür eine schriftlich festgehaltene Politik und entsprechende Massnahmen. «Viele Unternehmen wissen schlicht nicht, wie sie das handhaben sollen – insbesondere, wenn sie unter Nachhaltigkeit mehr als Klimaschutz verstehen», so Florin. Dabei sei dies gar nicht so eine Sache. Drittens sei der grosse Nachholbedarf nach den Reisebeschränkungen ein weiterer Grund. «Auch ich möchte Geschäftspartner, die ich noch nie oder seit zwei Jahren nicht mehr gesehen habe, endlich persönlich treffen», gibt Florin zu.

Reputationsrisiko oder -chance

Fairunterwegs empfiehlt, die Geschäftsreisetätigkeit auf ein Minimum zu reduzieren und ein Treibhausgas-Budget samt Ziel für das gesamte Unternehmen und jede einzelne Abteilung aufzustellen. «Geschäftsreisen sind für schätzungsweise acht Prozent der Treibhausgasemissionen der Schweiz verantwortlich. Damit liegen sie fast gleichauf mit der Landwirtschaft, die zehn Prozent verursacht», hält Florin fest. Reisen aus beruflichen Gründen machten vor Corona rund sieben Prozent aller Reisen mit Übernachtungen aus; nahezu drei Viertel davon führten von der Schweiz ins Ausland, wie das Bundesamt für Statistik 2020 festhielt. «Werden diese Reisen nachhaltiger, so wird eine beachtliche Wirkung für Klima und die Menschen, die vom Tourismus leben, erzielt», so Florin weiter. «Umgekehrt können Unternehmen aus einem Reputationsrisiko eine Reputationschance machen und KundInnen, Geldgebenden und Mitarbeitenden ihr Engagement tatkräftig aufzeigen. Und das mit einem überschaubaren finanziellen und zeitlichen Aufwand.»

(c) Flughafen Zürich

Viel Luft nach oben

Umso ernüchternder wirkt eine Studie von Transport & Environment (T&E), welche kürzlich den Geschäftsflugverkehr von 13 Schweizer Firmen untersucht hat. Fazit: Es gibt viel Luft nach oben. An der Spitze des Rankings stehen zwei Finanzkonzerne: Swiss RE und Zurich Insurance Group, die beide einen klaren Plan zur Verringerung der Treibhausgasemission verfolgen und ihre Hausaufgaben gemacht haben. Swiss Re verpflichtete sich, die Geschäftsreisen bis Ende 2022 um 50 Prozent im Vergleich zu 2018 zu reduzieren, die Zurich Insurance Group um 70 Prozent bis Ende 2022 gegenüber 2019. «Die Klimakrise betrifft uns alle und es besteht dringender Handlungsbedarf. Mit unseren Massnahmen wollen wir unsere eigene CO2-Bilanz signifikant senken, unsere Arbeitsweisen positiv beeinflussen und so Mitarbeitende, Lieferanten und Kunden inspirieren, selbst tätig zu werden», erläutert Laura Worrall, Pressesprecherin Zurich Insurance Group, gegenüber der Eventemotion.

Kontrollmechanismen sind eminent

So habe das Unternehmen Prozesse eingeführt, die regeln, dass Zurich-Mitarbeitende jegliche internationalen Geschäftsreisen anmelden müssen. «Mittels dieser Prozesse können wir unsere Fortschritte messen und unser Ziel absichern», so Worrall. Andere bedeutende Unternehmen wie UBS, Credit Suisse und Holcim haben sich zwar ambitionierte Ziele zur Emissionsreduzierung gesetzt, allerdings ohne jegliche Verpflichtung. Das tönt zwar gut, ist ohne konkrete Zielsetzungen jedoch ziemlich zahnlos. International liegen übrigens Mega-Player wie Google, Meta (Facebook) oder Microsoft in der untersten Kategorie des Rankings von T&E.

Grün und fair = teuer?

Die Diskrepanz zu den Business Traveller «an der Front» könnte kaum grösser sein: 98 Prozent der Geschäftsreiseverantwortlichen wären nämlich bereit, mehr dafür zu zahlen, damit die Geschäftsreisen grüner und fairer werden, und 97 Prozent der Mitarbeitenden würden dafür auch mehr Zeit investieren. Dies besagt der Corporate Travel Sustainability Index, eine Umfrage unter 2450 Entscheidungstragenden in führenden Unternehmen und 2000 Geschäftsreisenden in 11 Ländern von 2020. Es sei jedoch ein Irrglaube, dass «grün» und «fair» stets mit höheren Kosten verbunden seien, sagt Florin von Fairunterwegs; ein Online-Meeting koste schliesslich keinen Franken. «Selbst wenn man aus Geld-, Zeit-, oder Bequemlichkeitsgründen nicht aufs Fliegen verzichtet, wäre es beispielsweise immer noch günstiger und nachhaltiger, einen Sitz in der Economy-Class zu buchen als ein teures Business-Class Ticket zu kaufen.»

(c) Flughafen Zürich

Mehr Business, länger unterwegs

Die Zahlen zeigen aber: Schweizer Unternehmen lassen sich das Reisen im laufenden Jahr etwas kosten und ihre Mitarbeitenden vermehrt in der Business Class reisen. Auf Interkontinentalflügen erhöhte sich der Anteil der Business-Class-Flüge von Januar bis Mai 2022 gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 um 2,3 Prozentpunkte auf 50,5 Prozent und auf Europa-Strecken um 1,9 Prozentpunkte auf 5,2 Prozent. Gleichzeitig sind die Geschäftsreisenden länger unterwegs: Von Januar bis Mai 2022 dauerten Interkontinentalreisen im Schnitt 12,5 Tage (2019: 10,3 Tage), Europareisen 4,6 Tage (2019: 3,7 Tage) und geschäftliche Reisen in der Schweiz erhöhten sich markant auf durchschnittlich 18,5 Tage (2019: 3,4 Tage). Dies geht aus den von AirPlus International abgewickelten Transaktionen für Flugtickets hervor.

Bleisure-Reisen, die neue Reisekultur

Andy Stehrenberger, Geschäftsführer von AirPlus International in der Schweiz, sieht zumindest das längere Reisen positiv: «Hier zeigen sich die heutigen Möglichkeiten und die Akzeptanz gegenüber ‹remote work› deutlich. Anstelle mehrmals von A nach B zu reisen, werden Reisen zusammengelegt oder der Arbeitsplatz gleich für einen längeren Zeitraum verlegt.» Diese Tatsache zeuge auch von einem ökologischen Umdenken. Die Mitarbeitenden versuchen nach der Geschäftsreise freie Tage anzuhängen oder gar einen Mix von Arbeit und Freizeit zu realisieren – sogenannte Bleisure-Reisen. Eine daraus resultierende Steigerung der Arbeitsmoral und mehr Zufriedenheit könnten ja durchaus Vorteile sein. Das Erlauben von Bleisure-Reisen könnte auch einem Unternehmen von Nutzen sein, indem mehr Mitarbeitende zur Verfügung stehen, die auch wirklich bereit und motiviert sind, auf Geschäftsreisen zu gehen. Auch Jon Andrea Florin von Fairunterwegs stimmt dieser Trend zuversichtlich: «Hier entsteht eine neue, nachhaltigere Reisekultur. Wir sind überzeugt, dass sowohl ArbeitgeberInnen als auch ArbeitnehmerInnen durch die Pandemie bedeutend flexibler geworden sind, wodurch ganz neue und tolle Möglichkeiten entstanden sind – gerade was den Arbeitsort betrifft.» Immer mehr Leute würden Reisen und Arbeit miteinander verknüpfen und seien auch gar nicht mehr bereit, fünf Tage die Woche im Büro zu sitzen.

Firmen sind gefordert

Dementsprechend müssten aber die Firmenreiseprogramme an die von der Pandemie hervorgerufenen neuen Arbeitsweisen angepasst werden. «Mitarbeitende können Druck auf die Unternehmen ausüben, in dem sie verstärkt faire, nachhaltige und soziale Geschäftsreisen einfordern», ist Florin überzeugt. Denn immer mehr MitarbeiterInnen erwarten explizit von Unternehmen, dass sie sich diesbezüglich engagieren. Dabei möchten die Mitarbeitenden auch einen eigenen Beitrag leisten. Unternehmen hätten nun also die Gelegenheit, durch die Einführung neuer Praktiken eine Vorreiterrolle zu übernehmen, etwa zertifiziert nachhaltigere Unterkünfte zu präferieren oder Ziele für die Verringerung der Emissionen von Flugreisen festzulegen, um die während der Pandemie angenommen emissionsarmen Gewohnheiten in eine dauerhafte Praxis zu überführen. Das oberste To-do des Managements für menschenrechtskonforme und umweltverträgliche Geschäftsreisen wäre demnach: Policies und Reglemente einführen, die auf den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und dem Pariser Klimaabkommen basieren. Sofern die Firmen auf die grossen Worte auch Taten folgen lassen wollen.

Projekt «Faire Geschäftsreisen»

Auf der Website www.fairunterwegs.org findet man alle notwendigen Informationen und praktische Tools zu fairen Geschäftsreisen. Das Projekt «Faire Geschäftsreisen» wurde vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten unterstützt. Damit aus einer Geschäftsreise eine faire Geschäftsreise wird, braucht es also das Engagement des Managements, der Reisorganisation und der MitarbeiterInnen. Hierzu hat Fairunterwegs Empfehlungen für sämtliche angesprochenen Funktionsstufen formuliert.