Kay Fochtmann trägt nur leichte Handschuhe, obwohl er als Naturfotograf warme, bewegliche Hände gut gebrauchen kann. «Vielleicht bin ich aber auch einfach zu aufgeregt, als dass mir kalt sein könnte.» Es ist der erste Besuch des gebürtigen Sachsen in der Antarktis, und es ist der erste Morgen auf dieser gut zweiwöchigen Reise mit der «MS Roald Amundsen» von HX Hurtigruten Expeditions, an dem es endlich hinausgeht aufs Wasser, endlich hinaus ins Eis.

«Whale-Mania» auf dem Programm

Zwei Tage nach Einschiffen und Ablegen in Ushuaia, der am weitesten südlich gelegenen Stadt der Welt – zwei Tage in der für ihre wilden Wogen berüchtigten, diesmal aber verdächtig ruhigen Drake Passage –, befinden wir uns in der Wilhelmina Bay. Manchem Kenner ist sie als «Wahle-Mania Bay» bekannt, und das hat offensichtlich seinen guten Grund: Auch an diesem Morgen machen sich die Buckelwale nicht rar. Ganz im Gegenteil: Selbst Martin Hain, gemeinsam mit Kay Fochtmann als Fotograf an Bord und trotz junger Jahre ein alter Hase in den antarktischen Gefilden, ist begeistert von Vielzahl und Verspieltheit der mächtigen Tiere, die während der rund 45-minütigen Fahrt im Zodiac geradezu für die Kamera zu posieren scheinen. «Das ist heute auch für mich etwas ganz Besonderes.»

Wale sind in der Wilhelmina Bay oft anzutreffen. © Kay Fochtmann

Viel Zeit zum Wachsein

Kein gewöhnlicher Tag also – wie es gewöhnliche Tage in der Antarktis generell nicht gibt. Nur eines sind sie in diesen ersten Monaten des Jahres immer: unglaublich lang. Zwischen Sonnenuntergang kurz vor Mitternacht und Sonnenaufgang gegen halb drei Uhr früh wird es nie wirklich dunkel. Viel Zeit zum Wachsein. Weil dabei die Zeit an Land der Antarktischen Halbinsel streng begrenzt ist und die Organisation der Bootsausflüge auch für die fast 300 Gäste an Bord die ganze Reise über stets reibungslos funktioniert, bleibt ausreichend Zeit für An-Bord-Aktivitäten wie Vorträge über die Antarktis und gemeinsame Beobachtungen, zum Beispiel die «Bones Clones Session», in der Fachleute für Meeressäuger durch die Sammlung von Tierschädel-Replikas an Bord führen oder Einblicke in die Geschichte der Erforschung dieses doch so unergründlich wirkenden Erdteils geben. Zur Entspannung nach dem antarktischen Landgang laden auch Sauna, Whirlpools und ein Spa-Bereich ein.

Premiere am Polarkreis

Am sechsten Tag der Expeditionsseereise, kurz vor neun Uhr am Morgen, erleben wir ein weiteres Highlight: Die Roald Amundsen überquert zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Polarkreis, nie zuvor war das Schiff so nah an den Südpol gekommen. Auch für viele Crewmitglieder ist es eine Premiere. Es ist ihnen in die vor Kälte glühenden Gesichter geschrieben.

Bootsausflüge gehören zum antarktischen Programm. © Nils Lund

Es bleibt nicht der einzige Aufreger. Eine Ausfahrt ins Eis – neben den Walen sind vor allem Adelie- und Eselspinguine die geselligen, überaus fotogenen Stars des Expeditionsprogramms – wird abgekürzt: Die Konditionen scheinen die Landung auf einer Eisscholle zu erlauben. Spezialisten an Bord haben dafür Dichte und Beschaffenheit des Eises untersucht. Doch im «Expedition Launch», dem Raum vor dem Betreten der Zodiacs, ist wieder Schluss. Zu viel Bewegung ist ins Eis gekommen. Ein Auf und Ab der Gefühle – ein Vorbote für die wellenumtoste Rückfahrt durch die Drake Passage am Ende der Reise. «Drake Shake» statt «Drake Lake» wird es dann heissen. Doch einige Tage nach dem geplatzten Ausflug geht es dann doch noch auf die Eisscholle. Erst vorsichtig, bald überschwänglich bewegen sich die Gäste auf dem Eis, wohl wissend, dass es diesen Moment an diesem Ort kein zweites Mal geben wird. Denn das haben wir auf dieser Reise gelernt: Im ach so ewigen Eis bleibt nichts, wie es gerade noch ist.

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