30 Jahre Nationalpark Val Grande
Der Nationalpark Val Grande, zwischen Lago Maggiore und Schweizer Grenze, bietet unberührte Biotope, Trekking-Routen mit minimaler touristischer Infrastruktur und das grösste Wildnis-Areal der Alpen.
Der Nationalpark Val Grande, zwischen Lago Maggiore und Schweizer Grenze, bietet unberührte Biotope, Trekking-Routen mit minimaler touristischer Infrastruktur und das grösste Wildnis-Areal der Alpen.
Die Idee, Val Grande in einen Nationalpark zu verwandeln, kam bereits in den 1950er Jahren auf, musste allerdings viele Hürden nehmen. Lokale Befürworter rührten in den 1980er Jahre unter dem Slogan „Val Grande – das letzte Paradies“ kräftig die Werbetrommel. Schliesslich konnten sie die Regierung in Rom überzeugen. 1993 wurde die Natur auf einer Fläche von 146 Quadratkilometern unter nationalen Schutz gestellt und eine Verwaltungsbehörde eingesetzt. Die sorgt dafür, dass Interessierte das faszinierende Areal auf vielfältige Weise erleben können.
Der Gipfel des Abenteuers ist eine Parkdurchquerung, bei der es sich zwei Tage lang tief in die Wildnis eintauchen lässt. Zwei Routen bieten sich dafür an. Für beide braucht es sehr gute Kondition und Erfahrung in alpinem Gelände. Wandernde müssen Proviant für zwei Tage und einen Schlafsack im Gepäck haben, da es im Herzen des Parks keine bewirtschaftete Hütte gibt. Schutz vor Wind und Regen bei der Parkdurchquerung, sowie Wasser aus einer nahen Quelle und Kochgelegenheit bietet die Alpe La Piana mit mehreren Steinhäuschen, die jeweils Platz für 10 bis 15 Schlaflager haben. Ortsunkundige sollten sich nur in Begleitung eines erfahrenen Guides auf den Weg machen – zumal es im Parkinneren keinen Handyempfang gibt. Grundsätzlich empfiehlt sich eine Querung des Val Grande nur von Juni bis September.
Mit durchschnittlicher Kondition und ohne besondere Wandererfahrung lässt sich die Schönheit der Natur am Rande des Nationalparks erleben. So können Wandernde beispielsweise auf ein- bis zweistündigen Touren auf markierten Wegen den Spuren der Tiere folgen, der bäuerlichen Zivilisation längst vergangener Tage näherkommen, das Territorium auf uralten Maultierpfaden oder im Schatten von Nadelwäldern erkunden und stellenweise atemberaubende Aussicht über die Po-Ebene und den Lago Maggiore geniessen.
Im Kerngebiet des Parks gibt es keine Trails für Biker. In den Randgebieten hingegen lässt es sich angenehm und – elektrisch unterstützt – fast mühelos radeln. Mountain- und E-Bike-Verleihservice wird in den Gemeinden Trontano, Aurano und Rovegro angeboten. Ab Rovegro bietet sich zu jeder Jahreszeit die leichte, sieben Kilometer lange Tour nach Cicogna an. Cicogna gilt als „kleine Hauptstadt“ des Val Grande. Hier befindet sich eines von drei Nationalpark-Besucherzentren, in dem sich Themen wie Flora, Fauna und Geologie des Territoriums vertiefen lassen.
Nicht immer war das Gebiet des Nationalparks so dünn besiedelt und in seinem Inneren nahezu menschenleer wie heute. Archäologische Funde belegen, dass es hier prähistorische Siedlungen gab. Im Mittelalter begannen Menschen dann, die wilden Wälder des Val Grande abzuholzen und Weideflächen für Nutzvieh zu schaffen. Ab dem 14. Jahrhundert wurde die Holzfällerei selbst zum wichtigen Wirtschaftszweig und blieb es bis ins 20. Jahrhundert hinein. Während des Zweiten Weltkriegs diente das schwer zugängliche Val Grande italienischen Partisanen als Rückzugsort. Kämpfe und Erschiessungen durch die faschistischen Truppen sind in die kollektive Erinnerung eingebrannt. In den Nachkriegsjahrzehnten wurden Alm- und Holzwirtschaft aufgegeben und wieder veränderte sich die Landschaft rapide. Baumsprösslinge eroberten sich verlassene Weideflächen und verwandelten diese wieder in Wälder.
Dem Klimaeinfluss des Lago Maggiore sind Vegetationsreichtum und Blütenvielfalt im Hinterland des grossen Sees zu verdanken – und die kann sich im Nationalpark ungestört entfalten. Im unteren Val Grande überwiegen Mischwälder mit Laubbäumen. Vor allem Kastanien und Buchen bedecken die Hänge. Die Schluchten dagegen sind das Reich der Eiben, Erlen und Linden. In höheren Lagen dominieren Sträucher, die Heidelbeere fühlt sich an den Felsvorsprüngen wohl. Wer mit wachen Augen in den unterschiedlichen Höhenlagen wandert, kann botanische Raritäten wie gelben Enzian, Türkenbund, Sonnentau und Alpentulpen entdecken.
In den Gemeinden am Rande des Nationalparks gibt es keine grossen Hotels, dafür gemütliche und authentische Quartiere bei Privatvermietern – vom Gästezimmer auf dem Bauernhof bis hin zu Ferienwohnungen oder Häuschen. Einige Vermieter bieten Frühstücksservice an, in anderen Unterkünften müssen sich Gäste komplett selbst versorgen. Im Inneren des Parks gibt es unbewirtschaftete Hütten, die auf Anfrage bei der Parkverwaltung reserviert werden können. So ist beispielsweise die Alpe Ragozzale auf 1900 Metern Höhe am oberen Rand eines wildromantischen Tals ein Refugium mit Geschichte. Dieses Häuschen wurde einst von Hirten genutzt und der Weg dorthin ist noch heute ein Abenteuer. Leichter lässt sich die an einem Maultierpfad gelegenen Alpe Scaredi am östlichen Eingang zum grossen Tag erreichen. Auf 1841 Metern angelangt, zeigt sich das grandiose Panorama. Der Blick reicht hier bis zum Monte Rosa Massiv, mit dem zweithöchsten Gipfel der Alpen.
Informationen zum Park, Vermittlung von Bergführern und Unterkünften auf der – auch deutschsprachigen – Website www.parcovalgrande.it